Kann sich das Gehirn vollständig von einem Schlaganfall erholen?
Bei einem Schlaganfall sterben infolge einer Durchblutungsstörung bereits nach wenigen Stunden Gehirnzellen ab. Doch oft erholt sich das Gehirn erstaunlich gut von der Schädigung und Betroffene können viele der verloren gegangenen Funktionen wiedererlangen. Ob auch eine vollständige Erholung möglich ist, erfahren Sie hier.
Beim Schlaganfall zählt jede Minute
Bei einem Schlaganfall, auch Hirnschlag oder Apoplex genannt, ist die Blutversorgung in einem bestimmten Gehirnbereich unterbrochen. Die Nervenzellen im Zentrum dieses Bereichs sterben bereits nach wenigen Stunden unwiederbringlich ab. Im Randbereich gibt es dagegen Gehirnzellen, die zwar geschädigt sind, aber die sich noch retten lassen, wenn die Blutzufuhr schnell wiederhergestellt wird. Daher gilt beim Schlaganfall: „Time is Brain“, d.h. je schneller Betroffene eine Behandlung erhalten, desto besser sind die Chancen, sich vollständig von den Folgen des Schlaganfalls zu erholen. Daher ist es wichtig, die typischen Anzeichen eines Schlaganfalls zu kennen, um im Ernstfall mit der Notruf-Nummer 112 den Rettungsdienst rufen zu können; der FAST-Test kann Ihnen dabei helfen zu beurteilen, ob jemand Symptome wie Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen hat, die auf einen Schlaganfall hinweisen.
Was ist der Unterschied zwischen Schlaganfall und TIA?
Ein Schlaganfall und eine transitorische ischämische Attacke (TIA), im Volksmund auch „kleiner Schlaganfall“ genannt, verursachen dieselben Symptome, beispielsweise plötzlich auftretende halbseitige Lähmungen, Sprach- und Sprechstörungen sowie Sehstörungen. Doch im Gegensatz zum Schlaganfall handelt es sich bei der TIA um eine vorübergehende Durchblutungsstörung, sodass sich die Beschwerden meist innerhalb von weniger als einer Stunde und höchstens innerhalb von 24 Stunden vollständig zurückbilden – auch ohne Therapie. Das heißt aber nicht, dass eine TIA harmlos ist: Oft stellt sie einen Vorboten für einen „echten“ Schlaganfall dar, daher sollte bei den entsprechenden Symptomen immer der Notruf gewählt werden.
Erholung nach einem Schlaganfall: individuell sehr unterschiedlich
Die teils schweren neurologischen Ausfälle, die Betroffene direkt nach dem Schlaganfall erleben, bessern sich in den allermeisten Fällen innerhalb weniger Monate. Das Ausmaß der Verbesserung und inwiefern bzw. wann alle funktionellen Beeinträchtigungen verschwinden, ist jedoch individuell sehr unterschiedlich: Manche Menschen erlangen trotz anfangs schwerer Einschränkungen nach dem Schlaganfall alle ihre Fähigkeiten wieder, während andere Menschen dauerhafte Behinderungen zurückbehalten. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass 2–3 Wochen nach dem Schlaganfall noch etwa 3 von 4 Betroffenen an neurologischen Symptomen mit funktioneller Beeinträchtigung leiden. Besonders häufig sind dabei Lähmungserscheinungen – sowohl in der akuten Phase des Schlaganfalls als auch danach; bei mehr als der Hälfte aller Schlaganfall-Betroffenen bleibt eine teilweise Lähmung (Parese), insbesondere von Arm und Hand, dauerhaft bestehen.
Dabei scheint vor allem die Schwere der Ausfälle eine große Rolle dabei zu spielen, wie schnell die Erholung verläuft. Wer zu Beginn nur leichte oder mäßige Beeinträchtigungen hatte, bei dem ist vor allem innerhalb der ersten Wochen nach dem Schlaganfall mit einer deutlichen Verbesserung zu rechnen. Im Gegensatz dazu zeigen Personen mit schweren Beeinträchtigungen auch noch bis zu 6 Monaten nach dem Schlaganfall deutliche Fortschritte beim Wiedererlangen ihrer Fähigkeiten.
Ein halbes Jahr nach dem Schlaganfall hat dann jede bzw. jeder vierte Schlaganfall-Betroffene keinerlei Funktionsverluste mehr. Diese häufig genannte Marke von 6 Monaten ist für Mediziner und Medizinerinnen wichtig, denn als Faustregel gilt: Ausfälle, die nach 3 bis 6 Monaten noch andauern, bleiben in vielen Fällen dauerhaft bestehen. Das heißt aber nicht, dass nach einem halben Jahr gar keine Chance mehr auf Besserung besteht: Es wird immer wieder von Fällen berichtet, bei denen auch später als 6 Monate nach dem Schlaganfall noch eine Erholung möglich war; es gibt also im Einzelfall kein allgemein gültiges Datum, bis wann Verbesserungen noch möglich sind und ab wann nicht mehr, sondern die Heilung ist ein individueller, kontinuierlicher Prozess. Doch bei aller Hoffnung sollten Betroffene und ihre Angehörigen nach 3 bis 6 Monaten trotzdem versuchen sich darauf einzustellen, dass bestehende Funktionsverluste dauerhaft sein könnten und herausfinden, wie sich das Leben damit bestmöglich gestalten lässt.
Das Gehirn: ein Leben lang anpassungsfähig
Unser Gehirn ist eine Meisterleistung der Natur. Eine wichtige Rolle spielt dabei die sogenannte „Plastizität“ des Gehirns, also seine Fähigkeit, sich immer wieder zu verändern und an neue Gegebenheiten anzupassen. Das ist wichtig, damit wir lebenslang lernen können, aber auch, um beispielsweise nach einem Schlaganfall verlorene Fähigkeiten wiederzuerlangen. Die Erholung von einem Schlaganfall beruht dabei auf zwei Mechanismen: Einerseits versuchen die Nervenzellen, schnell neue Verknüpfungen zu bilden, um den Verlust der Nervenzellen im Schlaganfall-Areal auszugleichen („synaptische Plastizität“). Anderseits ist das Gehirn aber auch in der Lage, neue Gehirnzellen zu bilden („Neurogenese“); dass das möglich ist, ist erst seit wenigen Jahren bekannt und wird derzeit intensiv untersucht.
Rehabilitation hilft beim Wiedererlangen von Fähigkeiten
Training spielt in der Schlaganfall-Rehabilitation eine entscheidende Rolle, denn durch Training lassen sich viele Einschränkungen wie Bewegungs-, Gleichgewichts- und Koordinationsprobleme, Sprach- und Sprechprobleme und Gedächtnisstörungen verbessern oder ganz beseitigen. Die dafür notwendigen Maßnahmen sind vielfältig und richten sich nach den individuellen Funktionsverlusten. Typisch sind beispielsweise:
• Physiotherapie
• Ergotherapie
• Sprachtraining (Logopädie)
• Verhaltenstherapie
Mehr zur Rehabilitation erfahren Sie im Beitrag „Schlaganfall-Reha: verschiedene Wege zurück zu Gesundheit."
Auch nach einem Schlaganfall gilt: Vorbeugen ist besser als heilen
Prävention: Wie kann ich mich vor einem Schlaganfall schützen?.“ Doch das Thema Schlaganfall-Prävention bleibt auch nach einem Schlaganfall noch äußerst wichtig, denn: Wer bereits einen Schlaganfall erlitten hat, hat ein erhöhtes Risiko für einen weiteren Schlaganfall. Dieser verläuft in der Regel zudem schwerer als der erste Schlaganfall. Sprechen Sie daher am besten mit Ihrem Arzt bzw. Ihrer Ärztin darüber, wie Sie am besten Ihr Risiko für einen erneuten Schlaganfall senken können.
Idealerweise kommt es natürlich gar nicht erst zu einem Schlaganfall – welche Maßnahmen dabei helfen können, erfahren Sie im Beitrag „Autorin: Dr. Annukka Aho-Ritter, medproduction GmbH, www.medproduction.de
Datum: März 2022
Quellen:
1. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Schlaganfall. www.gesundheitsinformation.de/schlaganfall.html (letzter Abruf am 25.03.2022)
2. Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V.: S3-Leitlinie Schlaganfall, AWMF-Register-Nr. 053-011(Stand: 02/2020)
3. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V.: DEGAM Patienteninformation: Schlaganfall vorbeugen, erkennen und behandeln. AWMF online. 2020. Version 3.0.
www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011p_S3_Schlaganfall_2020-05.pdf
4. deximed.de: Schlaganfall und TIA.
deximed.de/home/klinische-themen/herz-gefaesse-kreislauf/krankheiten/schlaganfall-und-tia/schlaganfall-und-tia (letzter Abruf am 25.03.2022)
5. deximed.de: Rehabilitation nach einem Schlaganfall. deximed.de/home/klinische-themen/herz-gefaesse-kreislauf/krankheiten/schlaganfall-und-tia/schlaganfall-rehabilitation (letzter Abruf am 25.03.2022)
6. Pschyrembel online: TIA.
www.pschyrembel.de/transitorische%20isch%C3%A4mische%20Attacke/A06MD (letzter Abruf am 25.03.2022)
7. Grefkes C, Fink GR. Recovery from stroke: current concepts and future perspectives. Neurol Res Pract. 2020;2:17.
8. Muhammad M, Hassan TM. Cerebral Damage after Stroke: The Role of Neuroplasticity as Key for Recovery. From: Cerebral and Cerebellar Cortex, IntechOpen 2021.
9-GE-5-13291-02 04-2022