Warum ist Rehabilitation nach einem Schlaganfall so wichtig?
Das Wichtigste in Kürze
- Rehabilitation wird häufig mit Reha abgekürzt und ist ein wichtiger Bestandteil der Nachsorgebehandlung nach einem Schlaganfall.
- Ein Schlaganfall kann zu körperlichen, geistigen, seelischen und kommunikativen Beeinträchtigungen führen, die das Alltagsleben und die Teilhabe einschränken.
- Ziel der Reha ist es, die Gesundheit und eingeschränkten Fähigkeiten bestmöglich wiederherzustellen und die Selbstständigkeit wiederzuerlangen.
- Eine Reha kann stationär (mit Unterbringung in einer Reha-Klinik), teilstationär (den Tag über in der Klinik, Übernachtung zu Hause) oder ambulant erfolgen.
- Um bestmögliche Fortschritte zu erzielen, ist ein frühzeitiger Beginn und intensives, tägliches Üben seitens der Patientinnen/Patienten wichtig.
Hintergrund
Schätzungsweise 50 bis 70 Prozent der Schlaganfall-Patienten benötigen nach Abschluss der Akutbehandlung eine Rehabilitation aufgrund deutlich beeinträchtigter körperlicher, geistiger oder emotionaler Funktionen. Die Entscheidung über die Art und Dauer der Reha und einzelne Maßnahmen hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Schweregrad des Schlaganfalls, dem Alter und Gesundheitszustand sowie den individuellen Rehabilitationszielen.
Diese Beeinträchtigungen können sowohl alltägliche Aktivitäten wie Einkaufen oder Körperpflege als auch soziale Aktivitäten, wie Freunde treffen, erschweren oder unmöglich machen.
Die Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist von entscheidender Bedeutung, um eingeschränkte oder verloren gegangene Funktionen wiederherzustellen und damit verbundene Fähigkeiten wiederzuerlangen oder zu verbessern. Ob auf körperlicher Ebene wie Mobilität, Gleichgewicht, Kraft und Ausdauer oder auf kognitiver Ebene wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Sprachverständnis. Die Reha kann auch dazu beitragen, emotionalen und psychischen Belastungen, die mit einem Schlaganfall einhergehen, entgegenzuwirken - in stabilisierender, unterstützender und ermutigender Art und Weise.
Damit sollen Schlaganfall-Betroffene mit vorübergehenden oder dauerhaften Behinderungen ein möglichst selbstständiges Leben führen können. Durch eine umfassende Rehabilitation kann die Lebensqualität deutlich verbessert werden. Rehabilitation ist zudem ein wichtiger Pfeiler der tertiären Prävention, um Komplikationen wie erneute Schlaganfälle oder Stürze zu reduzieren.
Deshalb sind Reha-Maßnahmen nach der Akutbehandlung ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil der Schlaganfall-Nachsorge.
Was passiert während der neurologischen Rehabilitation?
Die Reha nach einem Schlaganfall hat einen interdisziplinären Ansatz. Das bedeutet, dass ein behandelndes Team von Menschen mit unterschiedlichen Expertisen und Perspektiven verschiedener Fachbereiche beteiligt ist und miteinander an übergeordneten gemeinsamen Zielen für eine erfolgreiche Reha arbeitet. Dazu zählen Menschen aus der Neurologie, Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Neuropsychologie, Ernährungsberatung etc. Die verschiedenen Berufsgruppen verfügen jeweils über besondere Qualifikationen mit Spezialisierung auf neurologische Erkrankungen.
Das Behandlungskonzept der Neurorehabilitation setzt sich also aus mehreren komplexen Therapieverfahren mit mehreren Therapiezielen zusammen. Dabei wird eine ganzheitliche Herangehensweise verfolgt. Die Reha konzentriert sich auf das Wiederherstellen von Funktionen des zentralen Nervensystems und die Wiedererlangung verloren gegangener Fähigkeiten. Darüber hinaus betrachtet sie den Menschen und die Gesundheitsprobleme nach dem bio-psycho-sozialen Modell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor dem Hintergrund von individuellen personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren: Es werden nicht nur medizinische Aspekte berücksichtigt, sondern auch psychische und soziale Auswirkungen und Einflüsse auf Beeinträchtigungen von Aktivitäten und Teilhabe. Denn ein Schlaganfall wirkt sich in allen Lebensbereichen aus. Umgekehrt haben Lebensumstände und das soziale Umfeld Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Art und Weise, wie mit den Folgen umgegangen wird.
Zunächst erfolgen Gespräche zur Bestandsaufnahme und Untersuchungen von Funktionen, Fähigkeiten und Aktivitäten, um die genaue Form und Schwere der Störungen zu bestimmen und die individuellen Einschränkungen zu erfassen. Es wird ein individueller Rehabilitationsplan mit Therapien und Maßnahmen erstellt, die auf die Bedürfnisse, Einschränkungen und Ziele abgestimmt sind.
Während der neurologischen Reha finden mehrere Therapieeinheiten täglich, später pro Woche statt, die über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden. Der Fortschritt wird regelmäßig überwacht und das behandelnde Team wird den erstellten Rehabilitationsplan für und mit den Patienten/Patientinnen anpassen.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit trägt dazu bei, dass der Reha-Prozess optimal strukturiert und koordiniert wird. Immer mit dem übergeordneten Ziel, den Betroffenen zu helfen, sich so funktionsfähig wie möglich und schrittweise unabhängiger von Fremdhilfe zu betätigen, damit sie wieder in ihr Alltagsleben zurückkehren und ihren Aktivitäten selbstbestimmt und selbstständig nachgehen können.
Beispiele für behandelbare Einschränkungen
Ein individueller Therapieplan kann je nach Art, Schwere und Komplexität der funktionellen Einschränkungen beispielsweise ausgerichtet sein auf:
- Lähmungen einer Hand, eines Armes oder/und eines Beines (Hemiparese)
- Sehstörungen
- Schluckstörungen
- Sprachstörungen
- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
- Psychische Probleme wie Depressionen oder Angstzustände
Darüber hinaus werden individuelle Faktoren berücksichtigt, wie:
- Art und Ort der Schädigung
- Schweregrad der Symptome
- Krankheitsverständnis
- Begleiterkrankungen
- Risikofaktoren
- Bildung
- Alter
Weiterhin werden kontextbezogen bedeutsame Merkmale einbezogen, die im Heilverlauf als förderliche (z. B. unterstützendes Umfeld durch Familie und Freunde) und hemmende Faktoren (z. B. alleinlebend, drohender Jobverlust) wirken können. Die Beziehung zu und Einbindung von Angehörigen, die aktuelle Lebenssituation, Herausforderungen im familiären Umfeld und die berufliche Prognose sind häufige Aspekte, die auch für die Sozialberatung relevant werden, wenn die Entlassung aus der Reha nach Hause ansteht und einiges vorzubereiten ist. Hier brauchen viele Betroffene Unterstützung, wie es in dem veränderten Alltag für sie konkret weitergeht.
Beispiele für rehabilitative Maßnahmen
In der Physiotherapie werden Übungen durchgeführt, um die körperliche Aktivität zu verbessern. Beispiele sind Gangtraining mit Unterstützung eines Laufbandes, Gleichgewichtsübungen sowie Übungen zur Beweglichkeit, Ausdauer und Kräftigung der betroffenen Muskeln.
In der Ergotherapie werden motorisch-funktionelle Fähigkeiten trainiert, damit ihnen alltägliche Aktivitäten wie Körperpflege, Ankleiden und Essen leichter fallen. Ein Beispiel ist die Übung der Feinmotorik.
Die Neuropsychologie legt den Schwerpunkt darauf, kognitive Fähigkeiten zu erfassen, gezielt zu trainieren und zu verbessern, z. B. die Aufmerksamkeit, die Gedächtnisleistung oder die räumliche Wahrnehmung.
In der Logopädie können unter anderem Fähigkeiten der Kommunikation wiederhergestellt oder verbessert werden. Beispiele für Übungen sind das Training von Sprachverständnis und Sprechfähigkeit.
Begleitende Psychoedukation dient der Aufklärung über Ursachen, Symptome, Behandlung und Folgen eines Schlaganfalls sowie der Vorbeugung eines Rezidivs. Es soll Patienten/Patientinnen geholfen werden, ihre Situation und die Erkrankung besser zu verstehen, ihre Fähigkeit fördern, mit den Auswirkungen umzugehen, Ängste und Depressionen zu stabilisieren oder zu reduzieren und ihre Lebensqualität zu verbessern. Diese Maßnahmen können Schulungen zu Themen wie Ernährung, Stressmanagement, Schlafhygiene und Bewältigung von kognitiven und emotionalen Beeinträchtigungen, auch für und mit Angehörigen, ergänzen.
Was können Patienten und Patientinnen selbst tun, um Fortschritte zu erzielen?
- Gut vorbereiten: Eine Reha wird Sie in vieler Hinsicht fordern und fördern. Bereiten Sie sich bewusst auf Ihre Rehabilitation vor. Sie werden viel Neues und vielleicht Vieles neu lernen, zudem viel Zeit und Energie mit anstrengenden, aber auch hilfreichen Therapien, Trainings und Übungen verbringen.
- Informiert sein: Holen Sie sich vor der Reha so viel Informationen wie nötig ein, um sich so gut wie möglich gerüstet zu fühlen, z. B. durch Kenntnis der Abläufe der Einrichtungen und Erfahrungsberichte.
- Geduldig sein: Der gesamte rehabilitative Prozess benötigt viel Zeit. Fortschritte stellen sich trotz großem Willen und Disziplin oft langsamer und weniger ausgeprägt ein als erhofft und auch Phasen der Stagnation und Rückschläge kommen vor. Das ist normal. Im ersten halben Jahr sind die Erfolge oft deutlicher sichtbar. In diesem Zeitraum finden besonders viel Regenerationsaktivitäten und neuroplastische Umbauten im Gehirn statt. Doch auch danach sind Verbesserungen möglich. Bleiben Sie zuversichtlich und motiviert, das unterstützt den Heilungsprozess positiv.
- Wissen und Erfahrung austauschen: Sprechen Sie während der Reha mit anderen Patienten und Patientinnen und gehen Sie später im Alltag mit Betroffenen in Kontakt, z. B. in einer Rehasport- oder Selbsthilfegruppe am Wohnort oder in digitaler Form. Manche Betroffenen neigen dazu, sich zu isolieren, wenn sie z. B. auf Unverständnis stoßen, Unsicherheit, Verstimmtheit und Scham empfinden. Auf Dauer verstärkt sich das dadurch eher noch. Sie sind mit Ihren Fragen, Unsicherheiten, Befürchtungen und Ängsten nicht allein. Ein Austausch unter Menschen, die ähnliches erlebt haben, fällt vielen Betroffenen leichter. Genauso können Sie hierüber Anschluss finden, um sich gegenseitig zu inspirieren und zu bestärken, mit dem Training motiviert und konsequent am Ball zu bleiben.
Üben, üben, üben: Den Genesungsprozess aktiv mitgestalten
Dass Sie sich aktiv am Genesungsprozess beteiligten, ist essenziell. Je mehr Sie sich darüber im Klaren sind und sich bei Entscheidungen über Therapien und Behandlungskonzepte einbringen, desto höher sind die Erfolgsaussichten. Auch nach der Entlassung ist es ratsam, die Übungen zu Hause fortzusetzen. Sie werden ein Eigenübungsprogramm und ggf. ein Reha-Nachsorgeprogramm vorgeschlagen bekommen. Sprechen Sie Ihre Therapeuten und Ärzte sonst darauf an und fragen Sie nach, wo Unklarheiten bestehen. Achten Sie bei Ihren täglichen Übungen auf Ihr eigenes Tempo, Erholungspausen und ausreichend Schlaf, um die Regeneration und den Heilungsprozess zu unterstützen.
Digitale Helfer
Die Zeit in Reha-Einrichtungen ist begrenzt, ebenso die Zeit der jeweiligen Therapeutinnen und Therapeuten. Deshalb sind ergänzende und erweiterte Therapieoptionen gefragt, die es Menschen je nach Beeinträchtigung ermöglichen, selbstständig zu üben. Hierzu haben sich inzwischen einige digitale Gesundheitsanwendungen etabliert.
Diese “digitalen Helfer” sind als Medizinprodukt zugelassen und können teilweise auf Rezept verordnet werden. Mögliche Anwendungen sind:
- Sprachtherapie: Mit der Digitalen Gesundheitsanwendung neolexon Aphasie erhalten Menschen mit Aphasie und/oder Sprechapraxie ergänzend zur Sprachtherapie ein logopädisches Training zum täglichen Üben zu Hause. Sie ist auf Rezept erhältlich, weitere Informationen unter https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/01196
- Individuelle Therapiepläne: Mit Caspar Health können Patientinnen und Patienten auf sie abgestimmte Übungen zu Hause durchführen und erhalten dabei persönliche Unterstützung. Weitere Informationen finden Sie unter caspar-health.com/de-de/patienten
Autor: Dr. med. Karin Kelle-Herfurth
Datum: März 2023
Quellen:
1. Schlaganfallhäufigkeit und Versorgung von Schlaganfallpatienten in Deutschland – Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft.
www.dsg-info.de/nachrichten/archiv/2-nachrichten/allgemeine-nachrichten/296-schlaganfallhaeufigkeit-und-versorgung-von-schlaganfallpatienten-in-deutschland.html
2. Guidelines for Adult Stroke Rehabilitation and Recovery
A Guideline for Healthcare Professionals from the American Heart Association/American Stroke Association www.ahajournals.org/doi/full/10.1161/STR.0000000000000098
3. GAB & DGNKN: Leitlinien 2000 für die Behandlung von Aphasie und Dysarthrie. www.aphasiegesellschaft.de/wp-content/uploads/2019/02/LL_2000_GAB_DGNKN.pdf
4. Leitlinie körperliche Aktivität zur Sekundärprävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen https://www.dgpr.de/fileadmin/files/DGPR/Leitlinien___Stellungnahmen/LL_Koerperliche_Aktivitaet_CRCS078.PDF
5. Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) e.V. zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation in der Neurologie“
www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/_publikationen/reha_vereinbarungen/pdfs/EMMedBeruflNeuro.pdf
9-GE-5-14031-02 03-2023